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BWB stellt Antrag auf Verbindlicherklärung von Verpflichtungszusagen gegen zwei Unternehmen des Medizinproduktesektors

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat am 18.05.2018 einen Antrag auf Verbindlicherklärung von Verpflichtungszusagen (§ 27 KartG) gegen zwei Unternehmen des Medizinproduktesektors im Zusammenhang mit der Einräumung eines Exklusivvertriebsrechts gestellt.

Bei der BWB hatte sich ein öffentlicher Spitalserhalter im Zusammenhang mit einem dem Bundesvergabegesetz (BVergG) unterliegenden (europaweiten) Beschaffungsvorgang betreffend chirurgische Instrumente über Schwierigkeiten beim Bezug von im Ausland ansässigen Anbietern beschwert. Grund dafür seien die einem österreichischen Händler für Medizinprodukte durch den Lieferanten eingeräumten Exklusivvertriebsrechte („Generalvertretung“) für dessen Produkte.

Gemäß den anwendbaren unionsrechtlichen Vorschriften, insb Art 101 AEUV und Art 4 VO 330/2010 (Vertikal-GVO), ist die Aufteilung von Kunden und Märkten zwar grundsätzlich verboten; Beschränkungen des aktiven Verkaufs (darunter ist die aktive Ansprache einzelner Kunden zu verstehen) sind im Rahmen eines Exklusivvertriebes allerdings bis zu einer Marktanteilsschwelle von 30% zulässig. Passive Verkäufe, also insb die Erledigung unaufgeforderter Bestellungen, müssen allerdings stets möglich sein.

In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass der Marktanteil der beteiligten Unternehmen die 30% Schwelle überschreite.

Die Ermittlungen der BWB haben ergeben, dass der Vertrieb im konkreten Fall auf einer rudimentären Vereinbarung aus den 1970er Jahren beruht und demgemäß keinerlei explizite Regelungen vertriebskartellrechtlicher Fragestellungen existierten. Bei Fehlen ausdrücklicher vertraglicher Regelungen ist zunächst zwar grundsätzlich von einer rechtskonformen Auslegung auszugehen, angesichts des den Beschwerdegegenstand bildenden Sachverhalts ist die BWB allerdings zu der Einschätzung gelangt, dass das Vertragsverständnis der Parteien möglicherweise einen nicht im Einklang mit den wettbewerbsrechtlichen Vorgaben stehenden umfassenden Gebietsschutz beinhalte.

Strittig geblieben ist, ob die beteiligten Unternehmen die 30% Marktanteilsschwelle tatsächlich überschreiten. Aus Sicht der BWB konnte diese Frage aber letztlich dahingestellt bleiben, weil die BWB die Teilnahme an einem öffentlichen Vergabefahren lediglich als Maßnahme des passiven Verkaufs, der keinesfalls Beschränkungen durch Vertriebsvereinbarungen unterworfen werden darf, wertet.

Dies wurde den Parteien durch die BWB mitgeteilt. Die Parteien haben in Reaktion auf diesen Vorhalt angeboten, Verpflichtungszusagen abzugeben, die die von der BWB angesprochenen Probleme beseitigen sollen:

  • Die Parteien werden die bestehende Vertriebsvereinbarung im Sinne der unionsrechtlichen Vorgaben ergänzen.
  • Die Parteien werden die Teilnahme an Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber als passive Verkäufe behandeln.
  • Die Parteien werden diese Grundsätze auch im Verhältnis zu anderen Händlern bzw Lieferanten berücksichtigen. Für das in Rede stehende Vertriebssystem wird die Lieferantin auch gegenüber ihren exklusiven Gebietshändlern im EWR eine entsprechende Klarstellung vornehmen.

Anmerkung
Mit einer Entscheidung nach § 27 KartG wird nicht über das Vorliegen eines Verstoßes gegen materielles Kartellrecht abgesprochen; vielmehr sollen durch die Zusagen künftige Zuwiderhandlungen ausgeschlossen bzw. die ursprünglich bestehenden wettbewerblichen Bedenken ausgeräumt werden (vgl. dazu auch Art 9 VO 1/2003)

Hintergrund
Im Bereich der Medizinprodukte existieren zahlreiche Exklusivvertriebssysteme, dh viele Produkte werden über sogenannte Generalvertretungen in einem bestimmten Mitgliedstaat vertrieben. Dadurch kommt es zu einer Einschränkung der Bezugsquellen für Produkte bestimmter Marken. Um schädliche Auswirkungen auf den Wettbewerb hintanzuhalten, muss auf die strikte Einhaltung kartellrechtlicher Regeln geachtet werden. Insbesondere ist die Einräumung eines absoluten Gebietsschutzes stets unzulässig. Sonstige Beschränkungen sind nur unter Beachtung der Marktanteile der jeweils beteiligten Unternehmen zulässig.

Auf der Nachfrageseite stehen indes vielfach Institutionen, die der öffentlichen Hand zuzurechnen sind. Diese unterliegen den vergaberechtlichen Vorschriften, die bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen ab einer Wertgrenze von 209.000 € eine europaweite Ausschreibung vorsehen. Um in vollem Maße vom Wettbewerb im Binnenmarkt profitieren zu können, ist daher die Qualifikation der Abgabe eines  Angebotes (bzw Teilnahmeantrages) in einem öffentlichen Vergabeverfahren von entscheidender Bedeutung. Soweit ersichtlich, gibt es zu dieser Frage allerdings weder Literatur noch Judikatur. Die maßgeblichen Überlegungen, weshalb die BWB die Beteiligung an Vergabeverfahren lediglich als passive Verkäufe wertet, sind:

  • Die Initiative zum Vertragsabschluss geht von der Kundenseite aus, auch bei Verfahrensarten, die sich zunächst an einen unbeschränkten Teilnehmerkreis richten. Die Abgabe eines Angebotes oder Teilnahmeantrages durch den Bieter erfolgt also immer bloß in Reaktion auf die Ausschreibung und ist nicht anders zu bewerten als eine Reaktion auf eine individualisierte Anfrage.
  • Bei anderer Sichtweise käme es zu einer Schlechterstellung öffentlicher Auftraggeber, die aber gerade durch die EU-Vergaberegeln von einem EWR-weiten Bieterkreis profitieren sollen. Es käme somit zu einem unauflöslichen Wertungswiderspruch mit dem Unionskartellrecht.
  • Dasselbe gilt unter Gesichtspunkten des Binnenmarkts. Die Qualifikation als aktiver Verkauf würde es Unternehmen gerade gegenüber öffentlichen Auftraggebern gestatten, eine Abschottung der Märkte aufrechtzuerhalten.